Nora Schöpfer
Filigrane Rekonfigurationen und rhizomatische Modelle

Rosanna Dematté
 
 
Nora Schöpfer lotet in ihrer Arbeit die Möglichkeiten der Figuration und der Abstraktion bis zum scheinbaren Schweigen des Schwarzen Quadrats aus. Konträre Sprachen der Kunst, womit sie die Strukturen der Wahrnehmung analysiert, in Bildern abstrahiert und wieder aufbaut und damit einen Toleranz-Raum für unterschiedliche Weltauffassungen öffnet. Ihre Werke – Installationen, Gemälde, überzeichnete und übermalte Fotografien und Grafiken – entpuppen die Realität als Wirklichkeit, welche eine Konfiguration unter vielen möglichen Konfigurationen ist. Sie basieren auf einem philosophischen Denken, das sich verbal kaum entfalten könnte. Ihre Werktitel, die sie akkurat aus einem philosophischen Fundus wählt, funktionieren kaum als verbale Erklärung der Arbeiten, sondern vielmehr als zusätzliche figurative Elemente. Ihre Ausstellungen heißen „aesthetic thought spaces“ (Räume des ästhetischen Denkens) oder „stream of perception in fragments 1-5“ (Fluss der Wahrnehmung in Fragmenten), ihre Arbeitsserien „fluid und liquid existence“ (flüssige Existenz) und „aesthetic thoughts“ (ästhetische Gedanken). 
 
Räume der Kunst 
„permanent unknown“ (Das permanent Unbekannte) ist der Titel einer Installation von 2018, die aus einem kleinen Monitor auf einer Säule aus Büchern besteht. Im Video wird man auf eine Bühne eingeladen, mit einem Vorhang, der sich durch einen leich-
ten Luftzug  bewegt. Die Bücher der Philosophie und der Wissenschaft stellen sich als eine Leiter zum Unbekannten heraus, denn nur ein Hauch von dem was sich hinter dem Vorhang versteckt, ist sichtbar. Man steht vor einem platonischen Statement. Wie die Menschen im Höhlengleichnis empfindet man zugleich Frust und Faszination für das, was für immer unbekannt bleiben wird.
Das Video in „permanent unknown“ wurde auf dem Weg zum Eingang in eine Kunstmesse aufgenommen und weist auf einen bevorzugten Ausgangspunkt der Künstlerin: Die Räume der Kunst. In Räumen wie Ausstellungen, Museen, Galerien wird seit dem 20. Jahrhundert etwas möglich, das für eine neue Erfahrung der Dinge von großer Bedeutung ist. Möglich werden zum Beispiel Momente der Irritation, Brüche mit der konventionellen Erfahrung, an denen sich eine andere, besondere Erfahrung ereignen kann mit einer konsequenten Anpassung und Erweiterung der Wahrnehmung. Sie sind dazu da, um über visuelle aber auch theoretische Konventionen zu reflektieren. Nora Schöpfer fokussiert auf Ausstellungen und auf Ausstellungsräume als Dispositive, wo unterschiedliche Formen der Wahrnehmung und somit die Gerüste des Wirklichen Priorität haben und kritisch hinterfragt werden.
 
In der Serie „aesthetic perception 7-9“  baut sie aus architektonischen Fragmenten von besuchten Ausstellungsräumen digitale Collagen. Den Rückblick in die eigene Erinnerung an Ausstellungsbegehungen übersetzt sie in neue Konstellationen, wo die Position des Besuchers und der Besucherin große Bedeutung einnimmt. In einer Reihe von Gemälden schafft sie visuelle Modelle, um die Entkoppelung von alten zentralperspektivischen Wahrnehmungsmustern und die Suche neuer Möglichkeiten des Betrachtens nachzuprüfen, die sie zum Beispiel als Besucherin einer Ausstellung Cy Twomblys erleben konnte. Es gelingt Schöpfer, uns das Unvorstellbare zu zeigen: Das Oszillieren zwischen dem Vertrauen in die Bilder der Kunst und dem Wissen über ihre Täuschung, jene Grenze, die das Empfinden des Ichs als Betrachter möglich macht. 
 
Inside outside paradox
Die vermeintliche, doch für das Selbstbewusstsein unentbehrliche Grenze zwischen dem Ich und der Außenwelt ist so filigran wie die „Fadenkörper“, die die Künstlerin als Rauminstallationen aufbaut oder als formale Elemente in ihre Werke integriert. Die dünnen, im Bild integrierten oder zu den Werken installierten Geraden, die in manchen Arbeiten der Linie eines Horizonts entspre-chen, würden diesem Gendanken nach mit der Schwelle, wo sich Innen- und Außenwelt verbinden, übereinstimmen. 
Die Trennung zwischen dem inneren Geist und der äußeren Welt der Phänomene, die wir hören, sehen, riechen, berühren, ist in Wahrheit sehr fragil. Sie ist leicht verschiebbar und vor allem ein geniales menschliches Konstrukt im Prozess der Selbsterkennung, welche die geistige Konfrontation mit den Dingen erst möglich macht. Ab ca. 24 Monaten sind Kinder in der Lage, sich vor dem eigenen Spiegelbild als wahrnehmendes Subjekt zu empfinden. Die psychologische Forschung spricht von „mirror self-experience and self-consciousness“, die den Erwachsenen nur vor der Betrachtung von Kunst bewahrt bleibt. Parallel dazu werden in der Geschichte der Philosophie des 17. Jahrhunderts von Descartes die „res cogitans“ (die Gedanken), und die „res extensa“ (die Materie, die Naturwelt) verhängnisvoll getrennt. Die Natur sei so, wie der Mensch sie sieht, die Zentralperspektive der einzige richtige Weg. 
Dagegen wird in der Kunst spätestens seit der Klassischen Moderne gekämpft, zum Beispiel von den futuristischen Künstlern, die den Zuschauer in die Mitte des Bildes hineinkatapultieren und die Welt nach Geisteszuständen und moderner Geschwindigkeit verstanden wissen wollen. Der Mensch ist demnach nicht nur der äußere Betrachter einer perspektivisch gebauten Welt: Er ist immer mitten im Bild gewesen. Jahrzehnte später schreibt der Quantenphysiker Erwin Schrödinger über Geist und Materie: „Der Geist baut die reale Außenwelt der Naturphilosophie (wie auch die des Alltags) ausschließlich aus seinem eigenen, d.i. aus geistigem Stoffe auf.“1  Im gleichen Text erklärt er den Umgang mit dem Paradox der Außenwelt so: „Der Geist kann mit dieser wahrhaft gigantischen Aufgabe nicht anders fertig werden, als mittels des vereinfachenden Kunstgriffs, daß er sich selbst aus
schließt, sich aus seiner begrifflichen Schöpfung zurückzieht.“2
Schöpfers Installation „Inside outside paradox“ behauptet die Trennung zwischen Innen und Außen als Irrtum. Im und auf einem umgedrehten Ausstellungspodest setzt sie auf filigranem Gestell Fotografien von Menschen in prominenten Ausstellungsräumen, die aus dem Fenster schauen. Das Werk liest sich als Hinweis auf die Durchlässigkeit von Kunsträumen nach außen und nach innen, auf ihr Potenzial zur Verschiebung der Grenzen, die sich die Menschen stellen. 
 
Rhizome
Mit diesem und vielen anderen Arbeiten öffnet Nora Schöpfer sich einem phänomenologischen Diskurs, der sie von Anfang an zu ihrer Arbeit getrieben hat. Die Erfahrung der Phänomene, ist, um Edmund Husserl zu paraphrasieren, über die Apparate der Wissenschaft und der Kunst vermittelt. Es wird dadurch schwierig, die Einzigartigkeit jedes Phänomens ohne Vormeinungen zu erleben. Schöpfer wählte den Weg, über die Vormeinungen zu reflektieren und die vorgegebenen Grenzen in Frage zu stellen. Viele ihrer Arbeiten verstehen sich als Untersuchung der Relationen zwischen den AkteurInnen, welche die Wirklichkeit aufbauen.
In der Arbeit „configurations/tree“ (Konfigurationen/Baum) ist im obersten Bereich das Fenster eines Ausstellungsraumes auf der Biennale von Venedig zu erkennen. Es signalisiert einen Ausblick, der einen inneren Blick inkludiert aber auch: einen Blick in die Verbindungen zwischen Natur und Kultur, in die Ähnlichkeit der Strukturen von Schatten einer Baumkrone mit den Strukturen unterirdischer Pilze, die im Einklang mit anderen Organismen leben. Die menschliche Wahrnehmung versteht sich in Relation mit der Welt, in einer relationalen Befruchtung.
Diese rhizomatischen Strukturen, die sich in anderen Werken Schöpfers erkennen lassen, stellen eine Alternative zum hierarchischen aber auch zum dialektischen Denken dar. Carl Gustav Jung hatte schon das Wort Rhizom als Metapher für die unsichtbare Natur des Lebens gewählt.3 Philosophen wie Guattari oder Deleuze intendieren mit dem Begriff Rhizom eine philosophische Denkweise, die nicht von einem zentralen Stamm ausgeht, sondern in alle Richtungen funktioniert und immer neue produktive Zusammenhänge bauen kann.4 Die Welt kann in einen unendlich erweiterbaren epistemologischen Prozess begriffen werden, der unendliche Abzweigungen hat.
Das Bewusstsein über die Konstruktionen der Welt, auf die sich die Menschen im Austausch miteinander meist beziehen, lässt sich nicht leicht aktivieren. Wir hängen irgendwie zwangsweise an dem Raum, der drei Dimensionen hat, und an der Zeit, die vergehen muss, und können uns leider kaum außerhalb des Zeit-Raums verständigen. Viele Arbeiten von Nora Schöpfer thematisieren das filigrane Zeit-Raum-Gerüst, das es zu überwinden gilt, um mehr hinter die gewohnten Kulissen der Welt zu blicken, die dem Ich eine Verankerung geben.
Extrem filigran und gleichzeitig langlebig sind Nora Schöpfers Fadenkörper, welche von ihr  als „Zeiträume“ bezeichnet im Giardino von Daniel Spoerri bei Seggiano in Italien oder im Skulpturengarten Achter de Westduinen in den Niederlanden permanent hängen. Sie verhalten sich wie die leeren Augen mancher Selbstporträts von ihrem Lehrer Oswald Oberhuber oder gar wie die spiegelnden Augen in Giuseppe Penones fotografischer Arbeit „Rovesciare i propri occhi“. Innen- und Außenwelt treffen sich in den Augen, in ständiger Veränderung. 
 
Rhizome
Mit diesem und vielen anderen Arbeiten öffnet Nora Schöpfer sich einem phänomenologischen Diskurs, der sie von Anfang an zu ihrer Arbeit getrieben hat. Die Erfahrung der Phänomene, ist, um Edmund Husserl zu paraphrasieren, über die Apparate der Wissenschaft und der Kunst vermittelt. Es wird dadurch schwierig, die Einzigartigkeit jedes Phänomens ohne Vormeinungen zu erleben. Schöpfer wählte den Weg, über die Vormeinungen zu reflektieren und die vorgegebenen Grenzen in Frage zu stellen. Viele ihrer Arbeiten verstehen sich als Untersuchung der Relationen zwischen den AkteurInnen, welche die Wirklichkeit aufbauen.
In der Arbeit „configurations/tree“ (Konfigurationen/Baum) ist im obersten Bereich das Fenster eines Ausstellungsraumes auf der Biennale von Venedig zu erkennen. Es signalisiert einen Ausblick, der einen inneren Blick inkludiert aber auch: einen Blick in die Verbindungen zwischen Natur und Kultur, in die Ähnlichkeit der Strukturen von Schatten einer Baumkrone mit den Strukturen unterirdischer Pilze, die im Einklang mit anderen Organismen leben. Die menschliche Wahrnehmung versteht sich in Relation mit der Welt, in einer relationalen Befruchtung.
Diese rhizomatischen Strukturen, die sich in anderen Werken Schöpfers erkennen lassen, stellen eine Alternative zum hierarchischen aber auch zum dialektischen Denken dar. Carl Gustav Jung hatte schon das Wort Rhizom als Metapher für die unsichtbare Natur des Lebens gewählt.3 Philosophen wie Guattari oder Deleuze intendieren mit dem Begriff Rhizom eine philosophische Denkweise, die nicht von einem zentralen Stamm ausgeht, sondern in alle Richtungen funktioniert und immer neue produktive Zusammenhänge bauen kann.4 Die Welt kann in einen unendlich erweiterbaren epistemologischen Prozess begriffen werden, der unendliche Abzweigungen hat.
Das Bewusstsein über die Konstruktionen der Welt, auf die sich die Menschen im Austausch miteinander meist beziehen, lässt sich nicht leicht aktivieren. Wir hängen irgendwie zwangsweise an dem Raum, der drei Dimensionen hat, und an der Zeit, die vergehen muss, und können uns leider kaum außerhalb des Zeit-Raums verständigen. Viele Arbeiten von Nora Schöpfer thematisieren das filigrane Zeit-Raum-Gerüst, das es zu überwinden gilt, um mehr hinter die gewohnten Kulissen der Welt zu blicken, die dem Ich eine Verankerung geben.
Extrem filigran und gleichzeitig langlebig sind Nora Schöpfers Fadenkörper, welche von ihr  als „Zeiträume“ bezeichnet im Giardino von Daniel Spoerri bei Seggiano in Italien oder im Skulpturengarten Achter de Westduinen in den Niederlanden permanent hängen. Sie verhalten sich wie die leeren Augen mancher Selbstporträts von ihrem Lehrer Oswald Oberhuber oder gar wie die spiegelnden Augen in Giuseppe Penones fotografischer Arbeit „Rovesciare i propri occhi“. Innen- und Außenwelt treffen sich in den Augen, in ständiger Veränderung. 
 
 
Rekonfigurationen
Wie erzeugen wir in dieser ständigen Veränderung unser Weltbild? Ist es endlich an der Zeit, aus der Höhle zu kommen? 
Manche von uns könnten durchaus von der Erkenntnis begeistert sein, dass der aus der Höhle kommende Mensch nur sich selbst finden wird. 
Karen Barad, theoretische Physikerin und Theoretikerin des „Neuen Realismus“, die der sogenannten „Materie“ eine Eigenlogik zuweist und als Akteur im epistemologischen Diskurs anerkennt, aktualisiert das menschliche Dilemma der Außen- und Innenwelt, die daraus resultierten theoretischen Gerüste und zugleich Schrödingers These über den geistigen Aufbau der Natur: „Theorien sind nicht bloße metaphysische Aussagen über die Welt, die von einer mutmaßlichen Position der Exteriorität gemacht werden. Sie sind vielmehr lebende und atmende Rekonfigurationen der Welt.“5 Mit einer künstlerischen Praxis wie der von Nora Schöpfer behauptet sich Kunst im wissenschaftlichen Diskurs, indem sie durch ihre Materialität neue Rekonfigurationen und Modelle des Denkens ermöglicht. Daraus resultieren durchaus immer neue blinde Flecken. Als solche könnten die monochromen Farbfelder in einigen der Arbeiten Nora Schöpfers interpretiert werden, als blinde Flecken des Selbst: Signifikante mit einer eigenen tonalen Wertigkeit, Un-Orte, wo das Subjekt sich nicht mehr wiedererkennt und das Denken mit bestehenden Vorstellungen und Dingen nicht korrespondieren muss. Wo die Angst vor dem Schwarzen Quadrat überwunden wird und das Selbst mal nur Farbe sein darf, kann etwas Neues entstehen. 
 
 
 
 
 
 
 
 
1 Erwin Schrödinger: Geist und Materie, Braunschweig 1959, S. 32.
2 Ebenda.
3 Vgl. u.a. Carl Gustav Jung: Erinnerungen, Träume, Gedanken, Zürich und Düsseldorf 1961.
4 Vgl. Felix Guattari, Gilles Deleuze: Rhizom, Berlin 1976.
5 Karen Barad: Berühren – Das Nicht-Menschliche, das ich also bin (V.1.1), in: Susanne Witzgall, Kerstin Stakemeier (Hg.): Macht des Materials/Politik der 
  Materialität, Zürich–Berlin 2014, S. 164.


 
Laudatio zur Verleihung des Preises für zeitgenössische Kunst 2018 an
Nora Schöpfer
am 23. April 2018
von Andrei Siclodi
Sehr geehrte Frau Landesrätin,
sehr geehrte Mitarbeiter_innen der Kulturabteilung der Tiroler Landesregierung,
liebe Preisträger_innen,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe die große Freude und Ehre, Ihnen heute die Preisträgerin für zeitgenössische Kunst 2018, Nora Schöpfer, sowie ihre Arbeit vorstellen zu dürfen. Nora Schöpfer, eine Künstlerin, die seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten hier in Innsbruck ein – wie ich meine – besonders qualitätsvolles und eigenständiges Werk entwickelt hat, das keinen internationalen Vergleich scheuen muss und darf. Ein Werk, das auch nicht davor scheut, grundlegende philosophische und naturwissenschaftliche Ideen beziehungsweise Diskurse aufzugreifen, um diese jedoch nie illustrativ, sondern auf eine ihr eigene, künstlerische Art zu verarbeiten und – eben – als Kunst zur Diskussion zu stellen. Ich werde Ihnen im Folgenden das bisherige Werk von Nora Schöpfer zu charakterisieren versuchen, und zwar anhand einiger Stationen und Werkabschnitte der vergangenen 27 Jahre.
Ich möchte hierfür gerne mit einem Zitat beginnen, das lautet:
„Diese Art von Kunst ist weder theoretisch, noch illustriert sie Theorien. Sie ist intuitiv, steht mit den unterschiedlichsten Denkvorgängen in Verbindung, und dient keinem praktischen Zweck.“
Diejenigen unter Ihnen, die das Oeuvre von Nora Schöpfer kennen und schätzen, werden in dieser Charakterisierung höchstwahrscheinlich Grundprinzipien ihrer Arbeit wiedererkennen. Und doch wurde diese Beschreibung in einem anderen Zusammenhang formuliert, vor mehr als einem halben Jahrhundert, und an einem völlig anderen Ort. Mit dieser „Art von Kunst“ beschrieb Sol LeWitt, einer der profiliertesten Vertreter des nordamerikanischen Konzeptualismus, in der Kunstzeitschrift Artforum im Sommer 1967
unter dem Titel „paragraphs on conceptual art“ diese damals neue Form künstlerischen Schaffens, in dessen Zentrum die Artikulation und Hervorhebung von Ideen stehen. Bemerkenswert daran ist, dass LeWitt, anders als die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen, die konzeptuelle Kunstpraxis nicht unter dem absoluten Primat eines positivistischen Rationalismus stellte sondern, etwa in Anlehnung an die Kunsttheorie eines Henri Bergson, die Intuition als einen zentralen künstlerischen Gestaltungsimpuls hervorhob. Diese Nicht-Rationalistische Dimension des historischen Konzeptualismus erscheint mir in unserem Zusammenhang als relevant. Damit möchte ich nicht behaupten, dass die Kunst von Nora Schöpfer pe se sich einem Konzeptualismus a la Sol LeWitt verpflichtet fühlt, sondern vielmehr ihr Werk in einer postkonzeptuellen Tradition verstanden wissen, die Rationalismus als eines von mehreren Mitteln verwendet, um eine genuin künstlerische Interpretation der Wirklichkeit zu artikulieren, die sich zwar dem Wissensreservoir etwa naturwissenschaftlicher Forschung bedient, sich dieser jedoch nie unterordnet und immer darauf erpicht ist, einen ästhetisch-visuellen Diskurs über die Strukturen der Welt und deren Erfahrung zu führen an dem Punkt, an dem, wie die Künstlerin selbst sagt, „die Struktur der Norm auseinander fällt […] und im nächsten Atemzug eine neue Welt erzeugt wird“.
Nora Schöpfer, geboren 1962 in Innsbruck, studiert ab 1984 Malerei- und Grafik an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien bei Oswald Oberhuber und schließt 1991 bei Ernst Caramelle ab, der mittlerweile die Oberhuber-Klasse übernommen hatte. Diese zwei Lehrer, allen voran Oswald Oberhuber mit seiner Idee der „permanenten Veränderung“ in der Kunst, dürften einen gewissen Einfluß auf das künstlerische Denken von Nora Schöpfer ausgeübt haben: Sie fühlt sich zwar hauptsächlich der Malerei verpflichtet, anders als man gemeinhin von einer Künstlerin, die vorwiegend in Österreich der 1980er Jahre studiert hat, erwarten würde, ist ihre Abschlussarbeit keineswegs klassische Malerei auf Leinwand sondern eine installative Anordnung mit dem Titel „Das Arbeitszimmer“, die auf Grund der angewandten Ästhetik sowie ihres Prozessualität veranschaulichenden Impetus, viel eher einer Kunstpraxis der 1970er Jahre nahe kommt. Die Künstlerin nimmt bereits hier Motive ihres Schaffens, die später wichtig werden sollten, vorweg: Sie gestaltet eine Interieur-Anordnung, die mit symbolischen Formen wie der Spirale oder Materialien wie Mineralien und Pflanzenextrakten operiert, mit Elementen also, die Prozessualität und Veränderung evozieren. Dabei wählt sie einen phänomenologischen Zugang, der ihre Arbeit bis heute begleitet und das Verständnis dessen, was „Wirklichkeit“ ist und wie sie sich bildlich konstituiert, aber auch die Art und Weise, wie
Wirklichkeitsinterpretationen aus anderen Wissensgebieten ins Gestalterisch-Visuelle übersetzt werden können, hinterfragt.
Nach ihrem Studium zieht Nora Schöpfer gemeinsam mit ihren zwei bereits während des Studiums geborenen Kindern zurück nach Innsbruck, wo sie auch bald in der Schule zu unterrichten beginnt. Dies hält sie – glücklicherweise – nicht davon ab, ihre künstlerische Praxis konsequent weiter zu entwickeln: Nach einer Phase reduktionistischer Arbeitsweise, in der hauptsächlich malerisch-grafische Repräsentationen isolierter Symbole entstehen, bezieht sie ab Mitte der 1990er Jahre immer mehr Motive in ihre Kunst ein, die hauptsächlich dem Bereich naturwissenschaftlicher Repräsentation entstammen: DNA-Spiralen, Mandelbrot-Gebilde, Fraktale und mikroskopische Darstellungen organischer Strukturen, die alle vergrößert und zu Bestandsteilen von Malereien oder Objekten werden. So etwa in der Arbeit Relationship von 1999 [BILD 2], in der mikroskopische Strukturen zu durchsichtigen, quasi planetarischen Gebilden, sich teilweise überlagernd, vor einem Spiegelhintergrund platziert werden, in dem sich die Betrachter_innen je nach Blickwinkel, nach der gewählten Perspektive also, selbst als Spiegelung zum Teil des Bildes werden können. Aus der Zeit um die Jahrtausendwende stammen auch Arbeiten aus der Serie mirrors of connection, wie etwa hier [BILD 3], in der Nora Schöpfer organisch-entropische Zustände auf kristalline Strukturen und Lichtreflexionen treffen lässt, die zum Teil den jeweiligen Medienträger verlassen, um sich miteinander zu einer simulativen Kette von Möglichkeiten zu verbinden. Darüber hinaus vereint sie in dieser Arbeit unterschiedliche Medien – Fotografie, Malerei und Grafik – die durch die linear gewählte Anordnung der dargestellten Motive zueinander Denkräume für spekulativ anmutende Behauptungen eröffnen. Während in diesen Arbeiten eine gewisse Künstlichkeit der Analogien offen zur Schau getragen wird, collagieren in dem Bild Landschaft, [Bild 4] ebenfalls aus dem Jahr 2003, wissenschaftliche Grafik, Fotografie und Malerei zu einem homogenen Ganzen, das primär durch einen malerischen Impuls zusammengehalten wird. Das bevorzugte Verfahren visueller, „nichtwissenschaftlicher Behauptungsanalogie“, wie es die Künstlerin selbst nennt, zwischen der zeichnerischen Darstellung einer Brustdrüse und eines in die Höhe ragenden Baumes hinterm Gitterzaun, also einer Leben spendenden Organstruktur einerseits und eines autark lebenden, einzelnen Organismus andererseits, überzieht Nora Schöpfer mittels eines malerischen Prozesses, der durch die Anwendung eines schnell anmutenden, breit-dynamischen Pinselduktus die Flüchtigkeit sowohl der Materie als auch der Wahrnehmung vergegenständlicht. Diese Flüchtigkeit von Raum und Zeit wird ab Ende der Nuller Jahre
zu einem bestimmenden Leitmotiv mehrerer Serien von Arbeiten, in denen Nora Schöpfer fotografische Vorlagen wie Malerei behandelt [BILD 5]. Den Bildern liegen digitale fotografische Notizen zugrunde, die die Künstlerin meist an Orten kultureller Zusammenkunft gemacht hat. Sie sind geprägt von einer scheinbar eingefrorenen Dynamik beziehungsweise Vibration der Raumzeitwahrnehmung [BILD 6], die unseren Blick auf den Raum dazwischen, der, wie Schöpfer selbst schreibt, „trotz oder gerade wegen der Unmöglichkeit einer Verortung eine erhöhte Präsenz und Komprimierung vorstellbar macht“. [BILD 7] „Es geht dabei nicht“, so Schöpfer weiter, „um die Darstellung der Auflösung oder Zusammensetzung an sich, sondern um die Permanenz, welche diesem Prozess zu Grunde liegt“. Die Permanenz bereitet erst die Möglichkeit eines Paradoxons von Zwischenräumen, die in diesen Bildern sichtbar wird. Nora Schöpfer stellt diese Arbeiten selten als Einzelstücke aus. Vielmehr denkt sie diese in einem räumlichen, installativen Zusammenhang mit Malerei, Videos und Objekten. [BILD 8] Die Videos spielen darin immer eine scheinbar beiläufige, aber nichtsdestotrotz entscheidende Rolle. Es sind kurze Beobachtungssequenzen, die dynamische Schwärme, Wolkenformationsveränderungen, Windböen und ähnliche Naturphänomene einfangen. Als Bestandteil der Installation und im endlosen Loop abgespielt argumentieren sie fortwährend zugunsten der Bedeutung, die Schöpfer der Permanenz in ihrer Arbeit fest zuschreibt.
Der Raum, dessen Verständnis und Erfahrung als Ergebnis von Bewußtwerdung durch Wahrnehmung, Erinnerung und Imagination, spielt nicht nur in der Malerei und den fotografischen Bearbeitungen eine wichtige Rolle. Die Künstlerin verlässt das Studio und die Innenräume – eigentlich nicht zum ersten Mal – um in dem Naturraum dreidimensional zu experimentieren. Die Quader, die ab 2003 quasi in und vor Naturkulissen entstehen, [BILD 9] (hier die Ansicht einer Installation aus dem Jahr 2006 im Garten von Daniel Spoerri in Seggiano, Italien) sind weder Fotokollagen, noch digitale Simulationen. Sie sind tatsächlich konstruierte, geometrische Fadenkörper, die durch ihre streng geometrische „3D-Grafik“ und ihre Primärfarbigkeit einen vermeintlich künstlichen Gegenpol zum Organischen der Natur bilden. Ihre Form erhalten die Körper durch die präzise Verbindung, im übertragenen Sinn „Vernetzung“, mit ihrer Umgebung [BILD 10]; sie erinnern uns daran, dass jede behauptete Perfektion ephemär und mit der sie zusammenhaltenden Umgebung untrennbar verbunden ist, sie ohne diese weder physikalisch noch imaginär existieren kann.
Bisher haben wir vor allem von einzelnen Arbeiten und Bildern gesprochen, doch dies genügt bei Weitem nicht, um dem Werk von Nora Schöpfer adäquat zu begegnen. Die größte Stärke entfalten die einzelnen Werke in ihrer räumlichen Relation zueinander erst dann, wenn sie in komplexe Erfahrungsräume eingebunden werden, in denen die Betrachter_innen die der Künstlerin so wichtige Permanenz von Gegenwärtigkeit bewußt erleben können. In diesen installativen Setzungen stehen zwar meist einzelne Bilder im Mittelpunkt, die jedoch räumlich expandieren, sich mit ihrer Umgebung und anderen Gestaltungselementen verbinden. So etwa in der Installation fluid environments – fluid perception in fragments, die 2014 in der Gruppenausstellung falsch ist richtig, die sie gemeinsam mit der Künstlerin Elisabeth Schutting im Künstlerhaus Büchsenhausen organisierte. [BILD 11] Das Gemälde im Zentrum verbindet visuelle Notizen, die zum einen den spezifischen Raum der Ausstellung – nämlich den großen Saal des Künstlerhauses – evozieren, und damit auch das durch dessen Fenster eindringende Licht und den damit verbundenen Schatten – ein Motiv, das Schöpfer von jeher fasziniert, zum anderen aber auch menschliche Präsenz vergegenwärtigt, in eine malerisch-grafische Komposition, die nicht nur in sich selbst ausgesprochen ausbalanciert wirkt, sondern, quasi beiläufig skizzenhaft, die das Bild umgebende Wand und den Raum davor miteinbezieht. [BILD 12] Dass ästhetische Sinngebung kein leeres Wort darstellt und die räumliche Komposition bis ins letzte Detail durchkonzipiert ist, beweisen nicht zuletzt auch die akribisch geformten und angeordneten Stromkabel, die das auf einem Plexiglaskasten aufliegende Video einer Wolkenformation am Laufen halten und über die rein funktionelle Rolle hinaus auch grafisch-farbige Akzente in das Gesamte hineinbringen. Die grafische Notation erhebt sich bisweilen in den dreidimensionalen Raum, [BILD 13] während Kompositionselemente des Bildes – wie farbige Tupfer, Striche und „Schattestreifen“ – als materielle Setzungen aus dem Bild hinaus expandieren. Die ästhetische Produktion bleibt jedoch nicht gänzlich im eigenen, stilistisch abgestimmten Zusammenhang befangen: Durch die Einbindung einer sorgfältig platzierten Eierschale eines Vogels, eines Ready-Mades, wenn man so will, verweist die Arbeit auf die Fragilität der Erneuerungsprozesse, denen unsere Welt permanent unterliegt.
[Bild 14] Das Streben nach dem Ausbruch aus der Selbstbezogenheit der Kunst, wie auch der Wille, das etablierte Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt zugunsten einer postdialektischen, imersiven Wahrnehmungs- und Erfahrungsweise aufzulösen, waren in der Ausstellung liquid existence: the image is within me – it`s not in front – I am inside – it is I in der Neuen Galerie der Tiroler Künstler*schaft ebenfalls gut nachvollziehbar.
[BILD 15] In der bis dato letzten größeren institutionellen Einzelausstellung von Nora Schöpfer aus dem Jahr 2015 bildeten die präsentierten Arbeiten eine Art retrospektiver Zusammenstellung von Gestaltungsstrategien und -Verfahren der vergangenen zwei Jahrzehnte. [BILD 16] Darüber hinaus dokumentierten sie die vielschichtige Gedankenwelt der Künstlerin, [BILD 17] die sich, wie bereits dargelegt, keineswegs in selbstreferenziellen ästhetischen Konstruktionen erschöpft, sondern, konsequenterweise, auch die uns umgebende Realität materiell einbindet und transzendiert. So geschehen etwa mit den bunten Plastikmüllfetzen, ein Symbol und Zeugnis fehlenden ökologischen Bewußtseins unserer Konsumgesellschaft, die zunächst aus dem Gemälde fleeing matter sich hinaus zu bewegen scheinen, [BILD 18] just aus dem Bereich, in dem Menschen dargestellt sind, um sich dann zu einer neuen, floral anmutenden künstlichen „Naturform“ zu vereinen. [BILD 19]
Die Virtuosität und die Selbstverständlichkeit, mit der Nora Schöpfer unterschiedliche Bildmedien quasi fließend ineinander übergehen, in der sie Erinnerung, Einbildung, Wahrnehmung und Wissen miteinander verschmelzen lässt, mit der sie den Anspruch erhebt, mit ihrer Arbeit der Kunst die Anerkennung als eine spezifische Artikulationsform des Denkens wieder zu verschaffen, und für ein Verständnis von Kunst als eine mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit eng verbundenen Praxis argumentiert, qualifiziert sie und ihr Werk über alle Maßen zum Erhalt des Preises des Landes Tirol für zeitgenössische Kunst 2018. [BILD 20] Insofern möchte ich dir, liebe Nora, herzlich gratulieren, freue mich auf viele spannende neue Werke und darf dir die Plastikblume, die du ja für uns alle stellvertretend gestaltet hast, symbolisch zurück überreichen!
 

Bild 1

Bild 1a

Bild 1b

Bild 1c

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Bild 7

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Bild 14

Bild 15

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Bild 15

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Bild 17

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liquid existence
Günther Moschig,  Kunsthistoriker, Ausstellungskurator  zur Ausstellung  liquid existence - the image is within me - it`s not in front - I am inside - it is I
 
René Magritte und Heinz von Förster. Magrittes berühmtes La trahison des images aus dem Jahr 1929 - ein Bild ist nicht die Realität eines Gegenstandes (Dies ist keine Pfeife) und von Försters  Der Hörer, nicht der Sprecher, bestimmt die Bedeutung einer Aussage.- das hermeneutische Prinzip.
Nora Schöpfer beschäftigt sich in ihrer jüngsten Arbeit mit den Wahrnehmungsmustern von Wirklichkeit und Kunst. Und die sind dieselben. Die Übergänge verfließen. Die Frage nach der Wahrheit stellt sich dabei nicht, auch wenn uns der Begriff „Wahrnehmung“ das hinterlistig vorzumachen versucht.
Nora Schöpfer untersucht in liquid existence vielmehr die existentielle Erfahrung, das Erleben, das Erinnern, das Vorstellen. Als Rauminstallation unter Einbeziehung von Fotografie, Malerei, Video und Objekt angelegt, geht es hier nicht um die Frage nach der Realität eines Gegenstandes und dessen Abbild, sondern in einem universellen Sinn um eine ganzheitliche Wahrnehmung von Wirklichkeit in Raum und Zeit und die Möglichkeiten ihrer Sichtbarmachung im Kunstwerk. Schöpfer vertraut dabei ihrer Einbildungskraft. Was hier deutlich wird: Die Ursachen der Erfahrungen sind die Beobachtungen und nicht die vorgegebene Umwelt. Die Wirklichkeit ist eine Summe aller Sinneswahrnehmungen.

Nora Schöpfer vertraut aber auch der subjektiven Einbildungskraft der Besucherinnen und Besucher und lädt sie ein über ihre Erfahrungen in der Ausstellung zu reflektieren, dies zu notieren und zur Diskussion zu stellen. Die Betrachterinnen und Betrachter sind involviert, erst in ihrer Wahrnehmung wird die Ausstellung als solche sichtbar (The image is within me – it´s not in front – I am inside –
it is I).
Dass Nora Schöpfer darin über Bilder argumentiert, diese komplexe Fragestellung in Bildern auflöst, hat einmal natürlich mit ihrer visuellen Kompetenz als Malerin zu tun, zum anderen aber auch mit einer Alltagserfahrung aus den Bilderspeichern des Internets und der digitalen Bilderflut unserer aktuellen Mediengesellschaft, die das Bild zum zentralen Informationsmedium werden ließ. Was in den Kulturwissenschaften als „iconic turn“ das Auslösen einer vermehrten Bildaufmerksamkeit gegenüber der Sprache meint, wird bei Schöpfer ein Denken mit Hilfe von Bildern. Erst über die Bilder wird die Wirklichkeit generiert. Dabei trägt sie der Breite visueller Praktiken von Sehen, Aufmerksamkeit, Erinnern, Beobachten und Vorstellen Rechnung und führt sie als Raumerlebnis in liquid existence zusammen.
 
Die Flüchtigkeit des Augenblicks und das Dehnen des Momentes war schon in früheren Arbeiten Nora Schöpfers präsent. Zeit wird hier als Augenblick verstanden, als der Moment, in dem sich das Erlebte gerade schon wieder aufzulösen beginnt und zur Vergangenheit wird. In diesem Spannungsfeld von Erfahren und Erinnern operiert Nora Schöpfer nun mit den sich in ihrer Arbeit gegenseitig bedingenden Medien Malerei, Fotografie, Video und Objekt und erweitert es in einer Rauminstallation zu einer ganzheitlichen Erfahrung, die Raumfolge der Galerie wird zu einem Bild. Die Wirklichkeit konstituiert sich darin aus dem Erleben von Licht, Horizont, Erzählung, kunsthistorischem Zitat, fließender Farbe, Landschaft, sozialen Begegnungen - aus Gegenwart, Erinnerung und Vorstellung.
 
Text: Dr. Mag. Günther Moschig, Kurator, Kunsthistoriker
 


gaps - between seconds
Mag. Günther Moschig,  Kunsthistoriker, Ausstellungskurator zur Ausstellung an der Universität Innsbruck Theologische Fakultät
Durchschreiten wir die Bilderfolge der Ausstellung werden gleich zwei Aspekte in den Bilderfindungen Nora Schöpfers deutlich. Zum einen ist das ein thematisch-inhaltlicher. Es geht in diesen neuesten Arbeiten um Verdichtung und Auflösen, genauer gesagt um den Augenblick dazwischen. Zum zweiten, und es scheint hier abermals um eine Schnittstelle zu gehen, und zwar auf einer medialen Ebene, um den Übergang von Fotografie in Malerei oder vice versa.
Und noch etwas fällt auf: eine Leichtigkeit des Tuns, lässt sich hinter diesen Bildern vermuten.
Nora Schöpfer hat an der Hochschule für Angewandte Kunst bei Oswald Oberhuber und Ernst Caramelle in Wien studiert und ist zunächst als Malerin hervorgetreten. In dem von den neuen Medien und der Fotografie vorgegebenen Diskurs um die eigenen ästhetischen Möglichkeiten hat sich auch die Malerei in den letzten Jahren wieder selbstreflexiv auf ihre Qualitäten bezogen. Und die ist am knappesten  beschrieben mit dem Auftragen von Farbe auf Leinwand. Das Arbeiten mit Farbe in einer bildkonstituierenden Funktion ist es letztlich auch , was die Malerei von anderen künstlerischen Medien unterscheidet.
Vieles ist dazu von Gerhard Richter in seinen fotorealistischen Bildern aus den 1960er vor formuliert. Seine weit reichenden Reflexionshorizonte hatten der Malerei vielfältige Möglichkeiten eröffnet, die für junge Künstler und Künstlerinnen, damit meine ich jene die in den 1980er Jahren aus den Akademien herausgekommen sind, Basis dafür geworden sind die Malerei als Medium zu verstehen und weiter zu entwickeln. Der Fotografie kommt darin eine besondere Rolle zu.
Wenn nun Nora Schöpfer Fotografien am Computer nachbearbeitet und mit ihm neue Bilder generiert ist sie dabei Malerin geblieben. Fotografische Vorgaben werden malerisch verwendet. Diese zunächst objektive Herangehensweise an das Motiv wird dann in der Weiterbearbeitung zu einer subjektiven Sicht umformuliert. In den Fotoserien ebenso, wie in den großformatigen Malereien. Die Unschärfen der Fotografie finden sich im Acrylbild als Verwischung wieder. Und genau diese Übereinstimmung im Bild ist die Qualität dieser neuen Arbeiten Schöpfers. Trotz unterschiedlicher medialer Erscheinung stellt sich die Frage nach Malerei und/oder Fotografie nicht. Die medialen Grenzen zwischen Fotografie und Malerei scheinen sich aufzulösen. Der Grund dafür liegt in der Blickweise und der technischen Raffinesse der Künstlerin.
Was ist nun die subjektive Sicht bei Nora Schöpfer? Eine Spur legen die Bildtitel: zum Beispiel gap. 08.10.2008/:16.14. Kaufhaus Tyrol, Maria Theresienstraße. Zeit wird in Schöpfers Weltwahrnehmung als Augenblick verstanden, als der Moment, in dem sich das Erlebte gerade schon wieder auflöst und zur Vergangenheit wird. Und es ist dieser Augenblick der Auflösung einer zuvor verdichteten Existenz, den Nora Schöpfer, wie das Videostill aus einem Film im Bild einfriert, als eine vom Alltag inszenierte und momentane Situation. In den neuen Bildserien sind es in erster Linie Szenen im öffentlichen Raum, an Orten der Kommunikation und sozialen Begegnung.
Hier wird gesprochen, gestikuliert, um sich dann wieder zu trennen. Die Herausforderung für Nora Schöpfer ist es, diesen Prozess zwischen Aufeinandertreffen und wieder Auflösen festzuhalten, und es geht hier auch um eine Subjektivierung von Zeit.
Wenn Nora Schöpfer, wie sie selbst formuliert „ visuellen Fährten folgt“ sind dies nicht nur Begegnungen  in öffentlichen Räumen, sondern auch Beobachtungen in den Mikro- und Makrokosmen der Natur. Die Videoarbeit „ Mückenschwarm“ (2009) macht das deutlich. Verdichtung und Auflösung durch Bewegung, aber auch strukturale Annäherungen an Mikroeinblicke in die Natur und das Leben, wie Sonnenreflexe, DNA Strukturen, Adern , also organischen Mikrostrukturen aus der Natur finden sich wieder in den Bildern.
Bei Nora Schöpfer bekommt der Augenblick durch ihren ganz persönlichen Blick auf das, was um sie passiert auch eine poetische Dimension und zwar in einem ganz ursprünglichen Sinn als die Wahrnehmung des Momentes, als ein ästhetisches wie rätselhaftes Erlebnis, das gerade noch darstellbar ist. Und es ist dieses gerade noch Festhalten können, das Nora Schöpfer zu interessieren scheint. Deshalb haben ihre Bilder auch etwas Flüchtiges - Leichtes, auch wenn sie ganz handfest und konkret als Leinwand oder als Lambdaprint an der Wand hängen.
Nora Schöpfer ortet im ästhetischen Produkt des Bildes das Geheimnis der menschlichen Existenz in den Momenten und Zwischenräumen von Verdichtung und Auflösung und setzt da an, wo sich die Formen wieder zu verändern beginnen. Wenn sie von „ der Qualität des nicht greifbaren Momentes “ spricht, mag das auch darauf hinweisen, dass sich der Augenblick gerade in seiner plötzlichen Verflüchtigung trifft, mit dem Erlebnis von Glück.
Text: Dr. Mag. Günther Moschig, Kurator, Kunsthistoriker 


 
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Dr. Mag. Ingeborg Erhart, Kunsthistorikerin, Kuratorin: Einleitung zum Katalog Nora Schöpfer . Malerei . Installationen / 2006
Die Natur ist ein Tempel, wo aus lebendigen Pfeilern zuweilen wirre Worte dringen; der Mensch geht dort durch Wälder von Symbolen, die mit vertrauten Blicken ihn beobachten.
Wie langer Hall und Widerhall, die fern vernommen in die finstere und tiefe Einheit schmelzen, weit wie die Nacht und wie die Helle, antworten die Düfte, Farben und Töne einander.
Entsprechungen, Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen, dtv München 1997, S. 23

Nora Schöpfer geht es in ihrer künstlerischen Arbeit um Verbindungen - Verbindungen von Zufalls- und realen Landschaften, empirisch Beobachtetem und wissenschaftlich Bewiesenem, Mikro- und Makrokosmos, Ratio und Emotion, flüchtigen Bewegungen und der Präsenz des Augenblicks, Fotografie und Malerei, Computergrafik und Handzeichnung, …
Die Künstlerin geht der Natur der Dinge auf ihre eigene Weise nach und entdeckt, dass sich Strukturen überall zeigen. Sonnenlicht, das durch das Laub des Baumes vor ihrem Arbeitsraum auf den Atelierboden fällt sieht ähnlich aus wie DNA unter dem Elektronenmikroskop und die Darstellung einer menschlichen Brustdrüse aus einem medizinischen Fachbuch ähnelt in ihrer formalen Struktur einer Agave. Sie zeichnet in regelmäßigen Zeitabständen den Lichteinfall durch ein Fenster mit Kreide am Boden nach und am Abend bleiben Linien zurück, die wie ein Fächer Raum greifen.
„Linien machen Dimensionen auf “, sagt Nora Schöpfer. So verbindet sie beispielsweise in der Arbeit „free“, 2006, fotografiertes Geäst, das links ins Bild ragt, und expressiv-abstrakte Lackmalerei, die etwas mehr als die rechte Bildhälfte einnimmt, mit einer einzigen dünnen Filzstiftlinie. Welchen Konnex der Baum und die gestische Malerei konkret haben, ist für den Betrachter nicht gewiss. Die Linie aber, die die beiden Bereiche zusammenbringt, sitzt.
Nora Schöpfer sieht den Zusammenhang in der Struktur, die die Natur im Ast hervorbringt und in der zufälligen Schütt- und Rinnspur der Farbe. Für sie ist es eine fraktale Struktur, die sich beiderseits zeigt.
Großformatige Mixed-Media-Arbeiten wie diese und die an asiatische Kalligraphie erinnernden Werke auf Papier der vergangenen Jahre stehen in ihrer (partiellen) Reduziertheit in logischem Zusammenhang mit den „Fadenkörpern“, die die Künstlerin seit 2002 in die Natur, aber auch in Ausstellungsräume spannt. Durch die Linien, also die Fäden, wird hier eine totale Illusion evoziert. Der entstandene Raum ist reine Imagination. Nora Schöpfer macht deutlich, wie stark der Mensch in seiner Wahrnehmung an der Materialität haftet und dass die Vorstellung von Realität ausreicht, einen Raum zu erzeugen.
Nach Analogien zu suchen, Verbindungen aufzuspüren und vernetzt zu denken sind die Grundlagen für die Art und Weise der künstlerischen Visualisierungen von Nora Schöpfer. Diese Vielschichtigkeit der Auseinandersetzung führt auch dazu, dass es – obwohl Malerei und Installation im Vordergrund stehen - keine Festlegung auf ein Medium gibt.
Der rote Faden, der sich unverkennbar durch das Œuvre der Künstlerin zieht, ist „Landschaft“ im allerweitesten Sinn des Wortes. Nora Schöpfer lässt die Rezipienten ihrer Arbeit an dem dynamischen Dialogprozess, den sie mit den Gegebenheiten der Natur führt, teilhaben und überrascht mit immer neuen Beobachtungen und künstlerischen Erkenntnissen.
Ingeborg Erhart
• Eine Landschaft ist ökologisch gesehen ein geografisches Gebiet, welches sich durch gemeinsame Merkmale von anderen Gebieten abgrenzt. Die Landschaft als Ausschnitt der Erdoberfläche ist die Grundlage menschlicher Existenz, wird jeweils individuell wahrgenommen und befindet sich in einer ständigen Dynamik. Man unterscheidet zwischen natürlichen und vom Menschen geprägten Landschaften. Psychologisch gesehen ist die Landschaft der sinnliche Gesamteindruck und wird mit Umwelt gleichgesetzt. Kulturell zusammenhängende Landschaften nennt man Regionen.(…) http://de.wikipedia.org/wiki/Landschaft
Text:  Dr. Mag. Ingeborg Erhart, Kunsthistorikerin