Laudatio zur Verleihung des Preises für zeitgenössische Kunst 2018 an
Nora Schöpfer am 23. April 2018
von Andrei Siclodi
Sehr geehrte Frau Landesrätin,
sehr geehrte Mitarbeiter_innen der Kulturabteilung der Tiroler Landesregierung,
liebe Preisträger_innen,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe die große Freude und Ehre, Ihnen heute die Preisträgerin für zeitgenössische Kunst 2018, Nora Schöpfer, sowie ihre Arbeit vorstellen zu dürfen. Nora Schöpfer, eine Künstlerin, die seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten hier in Innsbruck ein – wie ich meine – besonders qualitätsvolles und eigenständiges Werk entwickelt hat, das keinen internationalen Vergleich scheuen muss und darf. Ein Werk, das auch nicht davor scheut, grundlegende philosophische und naturwissenschaftliche Ideen beziehungsweise Diskurse aufzugreifen, um diese jedoch nie illustrativ, sondern auf eine ihr eigene, künstlerische Art zu verarbeiten und – eben – als Kunst zur Diskussion zu stellen. Ich werde Ihnen im Folgenden das bisherige Werk von Nora Schöpfer zu charakterisieren versuchen, und zwar anhand einiger Stationen und Werkabschnitte der vergangenen 27 Jahre.
Ich möchte hierfür gerne mit einem Zitat beginnen, das lautet:
„Diese Art von Kunst ist weder theoretisch, noch illustriert sie Theorien. Sie ist intuitiv, steht mit den unterschiedlichsten Denkvorgängen in Verbindung, und dient keinem praktischen Zweck.“
Diejenigen unter Ihnen, die das Oeuvre von Nora Schöpfer kennen und schätzen, werden in dieser Charakterisierung höchstwahrscheinlich Grundprinzipien ihrer Arbeit wiedererkennen. Und doch wurde diese Beschreibung in einem anderen Zusammenhang formuliert, vor mehr als einem halben Jahrhundert, und an einem völlig anderen Ort. Mit dieser „Art von Kunst“ beschrieb Sol LeWitt, einer der profiliertesten Vertreter des nordamerikanischen Konzeptualismus, in der Kunstzeitschrift Artforum im Sommer 1967
unter dem Titel „paragraphs on conceptual art“ diese damals neue Form künstlerischen Schaffens, in dessen Zentrum die Artikulation und Hervorhebung von Ideen stehen. Bemerkenswert daran ist, dass LeWitt, anders als die meisten seiner Kolleginnen und Kollegen, die konzeptuelle Kunstpraxis nicht unter dem absoluten Primat eines positivistischen Rationalismus stellte sondern, etwa in Anlehnung an die Kunsttheorie eines Henri Bergson, die Intuition als einen zentralen künstlerischen Gestaltungsimpuls hervorhob. Diese Nicht-Rationalistische Dimension des historischen Konzeptualismus erscheint mir in unserem Zusammenhang als relevant.
Damit möchte ich nicht behaupten, dass die Kunst von Nora Schöpfer pe se sich einem Konzeptualismus a la Sol LeWitt verpflichtet fühlt, sondern vielmehr ihr Werk in einer postkonzeptuellen Tradition verstanden wissen, die Rationalismus als eines von mehreren Mitteln verwendet, um eine genuin künstlerische Interpretation der Wirklichkeit zu artikulieren, die sich zwar dem Wissensreservoir etwa naturwissenschaftlicher Forschung bedient, sich dieser jedoch nie unterordnet und immer darauf erpicht ist, einen ästhetisch-visuellen Diskurs über die Strukturen der Welt und deren Erfahrung zu führen an dem Punkt, an dem, wie die Künstlerin selbst sagt, „die Struktur der Norm auseinander fällt […] und im nächsten Atemzug eine neue Welt erzeugt wird“.
Nora Schöpfer, geboren 1962 in Innsbruck, studiert ab 1984 Malerei- und Grafik an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien bei Oswald Oberhuber und schließt 1991 bei Ernst Caramelle ab, der mittlerweile die Oberhuber-Klasse übernommen hatte. Diese zwei Lehrer, allen voran Oswald Oberhuber mit seiner Idee der „permanenten Veränderung“ in der Kunst, dürften einen gewissen Einfluß auf das künstlerische Denken von Nora Schöpfer ausgeübt haben: Sie fühlt sich zwar hauptsächlich der Malerei verpflichtet, anders als man gemeinhin von einer Künstlerin, die vorwiegend in Österreich der 1980er Jahre studiert hat, erwarten würde, ist ihre Abschlussarbeit keineswegs klassische Malerei auf Leinwand sondern eine installative Anordnung mit dem Titel „Das Arbeitszimmer“, (BILD1, Bilder siehe weiter unten) die auf Grund der angewandten Ästhetik sowie ihres Prozessualität veranschaulichenden Impetus, viel eher einer Kunstpraxis der 1970er Jahre nahe kommt. Die Künstlerin nimmt bereits hier Motive ihres Schaffens, die später wichtig werden sollten, vorweg: Sie gestaltet eine Interieur-Anordnung, die mit symbolischen Formen wie der Spirale oder Materialien wie Mineralien und Pflanzenextrakten operiert, mit Elementen also, die Prozessualität und Veränderung evozieren. Dabei wählt sie einen phänomenologischen Zugang, der ihre Arbeit bis heute begleitet und das Verständnis dessen, was „Wirklichkeit“ ist und wie sie sich bildlich konstituiert, aber auch die Art und Weise, wie Wirklichkeitsinterpretationen aus anderen Wissensgebieten ins Gestalterisch-Visuelle übersetzt werden können, hinterfragt.
Nach ihrem Studium zieht Nora Schöpfer gemeinsam mit ihren zwei bereits während des Studiums geborenen Kindern zurück nach Innsbruck, wo sie auch bald in der Schule zu unterrichten beginnt.
Dies hält sie – glücklicherweise – nicht davon ab, ihre künstlerische Praxis konsequent weiter zu entwickeln: Nach einer Phase reduktionistischer Arbeitsweise, in der hauptsächlich malerisch-grafische Repräsentationen isolierter Symbole entstehen, bezieht sie ab Mitte der 1990er Jahre immer mehr Motive in ihre Kunst ein, die hauptsächlich dem Bereich naturwissenschaftlicher Repräsentation entstammen: DNA-Spiralen, Mandelbrot-Gebilde, Fraktale und mikroskopische Darstellungen organischer Strukturen, die alle vergrößert und zu Bestandsteilen von Malereien oder Objekten werden. So etwa in der Arbeit Relationship von 1999 [BILD 2], in der mikroskopische Strukturen zu durchsichtigen, quasi planetarischen Gebilden, sich teilweise überlagernd, vor einem Spiegelhintergrund platziert werden, in dem sich die Betrachter_innen je nach Blickwinkel, nach der gewählten Perspektive also, selbst als Spiegelung zum Teil des Bildes werden können.
Aus der Zeit um die Jahrtausendwende stammen auch Arbeiten aus der Serie mirrors of connection, wie etwa hier [BILD 3], in der Nora Schöpfer organisch-entropische Zustände auf kristalline Strukturen und Lichtreflexionen treffen lässt, die zum Teil den jeweiligen Medienträger verlassen, um sich miteinander zu einer simulativen Kette von Möglichkeiten zu verbinden. Darüber hinaus vereint sie in dieser Arbeit unterschiedliche Medien – Fotografie, Malerei und Grafik – die durch die linear gewählte Anordnung der dargestellten Motive zueinander Denkräume für spekulativ anmutende Behauptungen eröffnen.
Während in diesen Arbeiten eine gewisse Künstlichkeit der Analogien offen zur Schau getragen wird, collagieren in dem Bild Landschaft, [Bild 4] ebenfalls aus dem Jahr 2003, wissenschaftliche Grafik, Fotografie und Malerei zu einem homogenen Ganzen, das primär durch einen malerischen Impuls zusammengehalten wird. Das bevorzugte Verfahren visueller, „nichtwissenschaftlicher Behauptungsanalogie“, wie es die Künstlerin selbst nennt, zwischen der zeichnerischen Darstellung einer Brustdrüse und eines in die Höhe ragenden Baumes hinterm Gitterzaun, also einer Leben spendenden Organstruktur einerseits und eines autark lebenden, einzelnen Organismus andererseits, überzieht Nora Schöpfer mittels eines malerischen Prozesses, der durch die Anwendung eines schnell anmutenden, breit-dynamischen Pinselduktus die Flüchtigkeit sowohl der Materie als auch der Wahrnehmung vergegenständlicht.
Diese Flüchtigkeit von Raum und Zeit wird ab Ende der Nuller Jahre
zu einem bestimmenden Leitmotiv mehrerer Serien von Arbeiten, in denen Nora Schöpfer fotografische Vorlagen wie Malerei behandelt [BILD 5]. Den Bildern liegen digitale fotografische Notizen zugrunde, die die Künstlerin meist an Orten kultureller Zusammenkunft gemacht hat. Sie sind geprägt von einer scheinbar eingefrorenen Dynamik beziehungsweise Vibration der Raumzeitwahrnehmung [BILD 6], die unseren Blick auf den Raum dazwischen, der, wie Schöpfer selbst schreibt, „trotz oder gerade wegen der Unmöglichkeit einer Verortung eine erhöhte Präsenz und Komprimierung vorstellbar macht“. [BILD 7] „Es geht dabei nicht“, so Schöpfer weiter, „um die Darstellung der Auflösung oder Zusammensetzung an sich, sondern um die Permanenz, welche diesem Prozess zu Grunde liegt“. Die Permanenz bereitet erst die Möglichkeit eines Paradoxons von Zwischenräumen, die in diesen Bildern sichtbar wird.
Nora Schöpfer stellt diese Arbeiten selten als Einzelstücke aus. Vielmehr denkt sie diese in einem räumlichen, installativen Zusammenhang mit Malerei, Videos und Objekten. [BILD 8] Die Videos spielen darin immer eine scheinbar beiläufige, aber nichtsdestotrotz entscheidende Rolle. Es sind kurze Beobachtungssequenzen, die dynamische Schwärme, Wolkenformationsveränderungen, Windböen und ähnliche Naturphänomene einfangen. Als Bestandteil der Installation und im endlosen Loop abgespielt argumentieren sie fortwährend zugunsten der Bedeutung, die Schöpfer der Permanenz in ihrer Arbeit fest zuschreibt.
Der Raum, dessen Verständnis und Erfahrung als Ergebnis von Bewußtwerdung durch Wahrnehmung, Erinnerung und Imagination, spielt nicht nur in der Malerei und den fotografischen Bearbeitungen eine wichtige Rolle. Die Künstlerin verlässt das Studio und die Innenräume – eigentlich nicht zum ersten Mal – um in dem Naturraum dreidimensional zu experimentieren. Die Quader, die ab 2003 quasi in und vor Naturkulissen entstehen, [BILD 9] (hier die Ansicht einer Installation aus dem Jahr 2006 im Garten von Daniel Spoerri in Seggiano, Italien) sind weder Fotokollagen, noch digitale Simulationen. Sie sind tatsächlich konstruierte, geometrische Fadenkörper, die durch ihre streng geometrische „3D-Grafik“ und ihre Primärfarbigkeit einen vermeintlich künstlichen Gegenpol zum Organischen der Natur bilden.
Ihre Form erhalten die Körper durch die präzise Verbindung, im übertragenen Sinn „Vernetzung“, mit ihrer Umgebung [BILD 10]; sie erinnern uns daran, dass jede behauptete Perfektion ephemär und mit der sie zusammenhaltenden Umgebung untrennbar verbunden ist, sie ohne diese weder physikalisch noch imaginär existieren kann.
Bisher haben wir vor allem von einzelnen Arbeiten und Bildern gesprochen, doch dies genügt bei Weitem nicht, um dem Werk von Nora Schöpfer adäquat zu begegnen. Die größte Stärke entfalten die einzelnen Werke in ihrer räumlichen Relation zueinander erst dann, wenn sie in komplexe Erfahrungsräume eingebunden werden, in denen die Betrachter_innen die der Künstlerin so wichtige Permanenz von Gegenwärtigkeit bewußt erleben können. In diesen installativen Setzungen stehen zwar meist einzelne Bilder im Mittelpunkt, die jedoch räumlich expandieren, sich mit ihrer Umgebung und anderen Gestaltungselementen verbinden. So etwa in der Installation fluid environments – fluid perception in fragments, die 2014 in der Gruppenausstellung falsch ist richtig, die sie gemeinsam mit der Künstlerin Elisabeth Schutting im Künstlerhaus Büchsenhausen organisierte. [BILD 11]
Das Gemälde im Zentrum verbindet visuelle Notizen, die zum einen den spezifischen Raum der Ausstellung – nämlich den großen Saal des Künstlerhauses – evozieren, und damit auch das durch dessen Fenster eindringende Licht und den damit verbundenen Schatten – ein Motiv, das Schöpfer von jeher fasziniert, zum anderen aber auch menschliche Präsenz vergegenwärtigt, in eine malerisch-grafische Komposition, die nicht nur in sich selbst ausgesprochen ausbalanciert wirkt, sondern, quasi beiläufig skizzenhaft, die das Bild umgebende Wand und den Raum davor miteinbezieht. [BILD 12] Dass ästhetische Sinngebung kein leeres Wort darstellt und die räumliche Komposition bis ins letzte Detail durchkonzipiert ist, beweisen nicht zuletzt auch die akribisch geformten und angeordneten Stromkabel, die das auf einem Plexiglaskasten aufliegende Video einer Wolkenformation am Laufen halten und über die rein funktionelle Rolle hinaus auch grafisch-farbige Akzente in das Gesamte hineinbringen. Die grafische Notation erhebt sich bisweilen in den dreidimensionalen Raum, [BILD 13] während Kompositionselemente des Bildes – wie farbige Tupfer, Striche und „Schattestreifen“ – als materielle Setzungen aus dem Bild hinaus expandieren.
Die ästhetische Produktion bleibt jedoch nicht gänzlich im eigenen, stilistisch abgestimmten Zusammenhang befangen: Durch die Einbindung einer sorgfältig platzierten Eierschale eines Vogels, eines Ready-Mades, wenn man so will, verweist die Arbeit auf die Fragilität der Erneuerungsprozesse, denen unsere Welt permanent unterliegt.
[Bild 14] Das Streben nach dem Ausbruch aus der Selbstbezogenheit der Kunst, wie auch der Wille, das etablierte Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt zugunsten einer postdialektischen, imersiven Wahrnehmungs- und Erfahrungsweise aufzulösen, waren in der Ausstellung liquid existence: the image is within me – it`s not in front – I am inside – it is I in der Neuen Galerie der Tiroler Künstler*schaft ebenfalls gut nachvollziehbar.
[BILD 15]
In der bis dato letzten größeren institutionellen Einzelausstellung von Nora Schöpfer aus dem Jahr 2015 bildeten die präsentierten Arbeiten eine Art retrospektiver Zusammenstellung von Gestaltungsstrategien und -Verfahren der vergangenen zwei Jahrzehnte. [BILD 16] Darüber hinaus dokumentierten sie die vielschichtige Gedankenwelt der Künstlerin, [BILD 17] die sich, wie bereits dargelegt, keineswegs in selbstreferenziellen ästhetischen Konstruktionen erschöpft, sondern, konsequenterweise, auch die uns umgebende Realität materiell einbindet und transzendiert. So geschehen etwa mit den bunten Plastikmüllfetzen, ein Symbol und Zeugnis fehlenden ökologischen Bewußtseins unserer Konsumgesellschaft, die zunächst aus dem Gemälde fleeing matter sich hinaus zu bewegen scheinen, [BILD 18] just aus dem Bereich, in dem Menschen dargestellt sind, um sich dann zu einer neuen, floral anmutenden künstlichen „Naturform“ zu vereinen. [BILD 19]
Die Virtuosität und die Selbstverständlichkeit, mit der Nora Schöpfer unterschiedliche Bildmedien quasi fließend ineinander übergehen, in der sie Erinnerung, Einbildung, Wahrnehmung und Wissen miteinander verschmelzen lässt, mit der sie den Anspruch erhebt, mit ihrer Arbeit der Kunst die Anerkennung als eine spezifische Artikulationsform des Denkens wieder zu verschaffen, und für ein Verständnis von Kunst als eine mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit eng verbundenen Praxis argumentiert, qualifiziert sie und ihr Werk über alle Maßen zum Erhalt des Preises des Landes Tirol für zeitgenössische Kunst 2018. [BILD 20]
Insofern möchte ich dir, liebe Nora, herzlich gratulieren, freue mich auf viele spannende neue Werke und darf dir die Plastikblume, die du ja für uns alle stellvertretend gestaltet hast, symbolisch zurück überreichen!
Bilder in Reihung laut Text:
Bild 1
Bild 1a
Bild 1b
Bild 1c
Bild 2
Bild 3
Bild 4
Bild 5
Bild 6
Bild 7
Bild 8
Bild 9
Bild 10
Bild 11
Bild 12
Bild 13
Bild 14
Bild 15
Bild 15
Bild 15
Bild 15
Bild 16
Bild 16
Bild 17
Bild 18
Bild 19
Bild 20